27.02.2023 - DOSSIER PVB MAGAZIN-E 1 2023

Eine starke Demokratie braucht einen starken Service public

Trotz ihres Gesundheitssystems, das zu den teuersten der Welt gehört, belegt die Schweiz in der Rangliste der Länder mit den besten Lebensbedingungen nach wie vor einen guten Platz. Das liegt nicht zuletzt an ihrem Service public. Was trifft also zu: Gibt es zu viel davon? Oder zu wenig? Ist der Service public auch in Krisenzeiten ein Garant für Demokratie? Ein Überblick.

Globale Pandemie, Krieg in Europa, Inflation, Gasund Stromkrise: Die letzten Jahre waren alles andere als einfach. Der PVB hat in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass die Schweiz diesen Herausforderungen nicht zuletzt dank ihres starken Service public gewachsen war. Oder wie es Verbandssekretär Luc Python zusammenfasst: «Der Service public umfasst ganz allgemein sämtliche Aktivitäten im Dienst der Gesellschaft. Er ist darauf ausgerichtet, bestimmte Bedürfnisse der Bevölkerung von allgemeinem Interesse zu befriedigen. Er hat demzufolge auch eine gemeinnützige und soziale Funktion. Er ermöglicht allen Menschen den Zugang zu gewissen Gütern und Dienstleistungen und trägt damit zur Solidarität und zum sozialen Zusammenhalt bei.»

 

Eine uralte Debatte

Laut Barbara Gysi, Präsidentin des PVB und Nationalrätin, ist «ein starker Service public ein Garant für Demokratie, sozialen Zusammenhalt und Chancengleichheit. Das reibungslose Funktionieren des Staates ist untrennbar mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Landes verbunden. Damit der Service public seinen Auftrag erfüllen kann, muss er mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden. Das ist ein ständiger Kampf. Der Service public wird mehr denn je in Frage gestellt: Ein beachtlicher Teil des Parlaments fordert immer wieder Kürzungen staatlicher Leistungen, hauptsächlich aus ideologischen Gründen.» So ist die Mitarbeiterzahl bei Bund und Kantonen ein Thema, das in fast jeder Session wieder auftaucht. Dies, obwohl die Nachfrage nach Personal weiter wächst, um die Leistungen sicherzustellen, die von selbigem Teil des Parlaments gefordert werden, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Migration und Gesundheit. Dies hat zur Folge, dass Leistungen ausgelagert werden müssen, was für den Staat kostspieliger ist und zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt.

Es gibt Stimmen, die weniger Service public und weniger Staat fordern, andere wiederum sind der Auffassung, dass er, gemessen an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger unzureichend ist.
Kurz: Das Thema ist ein Dauerbrenner.

 

Wie sähe eine Schweiz ohne Service public aus?

Laut Jérôme Hayoz, Generalsekretär des PVB,

«würde der Verzicht auf Grundversorgungsaufträge wie beispielsweise im Kommunikations- oder Verkehrswesen zu einem Leistungsabbau oder zu Preiserhöhungen in den sogenannten Randregionen führen. Damit würde der territoriale, aber auch der wirtschaftliche Zusammenhalt des Landes gefährdet».

Barbara Gysi fügt hinzu:

«Die Covid-Krise hat gezeigt, dass es in der Schweiz einen starken Service public braucht. Dies gilt natürlich in erster Linie für das Gesundheitspersonal, aber auch für alle anderen Dienstleistungssektoren, die entscheidend dazu beigetragen haben, die Pandemie und deren Folgen in der Gesellschaft zu bewältigen. Der Schlüssel zu diesem Erfolg ist die Schnelligkeit. Ob an den Grenzen, im Gesundheitswesen, in der Armee oder in der Wirtschaft, um nur einige zu nennen: Dem Bund ist es gelungen, in Rekordzeit sinnvolle, durchdachte und pragmatische Lösungen zu präsentieren.»

Reto Wyss, SGB-Zentralsekretär, fasst die Situation wie folgt zusammen:

«In Krisenzeiten kann die Koordination nur zentralisiert erfolgen – und im Sinne einer Grundversorgung muss diese Koordination zu einem grossen Teil durch staatliche Akteur:innen sichergestellt werden, um ein Privatmonopol zu vermeiden. Der Staat oder der Bund kann auch die Finanzierung von Diensten oder Leistungen sicherstellen, die in Krisenzeiten nicht mehr rentabel sind. Wie beispielsweise die beiden ersten Covid-Impfkampagnen im öffentlichen Gesundheitswesen.»

Er spinnt den Faden weiter: «Es würde vielleicht auch ohne Service public gehen, aber anders, nicht für alle und es wäre viel teurer. Eines der besten Beispiele ist die Privatisierung der Eisenbahn in England vor bald dreissig Jahren. Nichts funktioniert. Die Qualität der Infrastruktur ist erbärmlich, die Ticketpreise exorbitant. Auch in Deutschland hat die Auslagerung der Deutschen Bahn vor fast dreissig Jahren zu einer Qualitätsminderung und zu einer Verringerung des Angebots geführt. Der Zustand von tausenden Kilometern Schienen wurde vernachlässigt.»

Für Luc Python ist die Situation klar:

«Das Ziel von Privatunternehmen ist der Profit. Für sie stehen Produktivität und Rentabilität im Vordergrund und nicht der Service public. Sollten öffentliche Leistungen verschwinden, würden grosse Teile der Bevölkerung benachteiligt. Es hätten nicht mehr alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Grundversorgung mit bestimmten Gütern und Infrastrukturleistungen und diese wären nicht mehr in allen Regionen des Landes zu erschwinglichen Preisen erhältlich.» 

 

Ohne Swissmedic wäre die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet

Der Sprecher von Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut, erklärt, dass «es ohne Heilmittelgesetz auch keine Reglementierung für Heilmittel bezüglich Zulassungen, Marktaufsicht und strafrechtliche Verfolgung von Gesetzesverstössen mehr gäbe.

Jeder könnte Medikamente herstellen und diese auf den Markt bringen. Jeder könnte auch Medizinprodukte (Pflaster, Herzschrittmacher, Computertomografen usw.) herstellen und auf den Markt bringen und es gäbe diesbezüglich keine Richtlinien. In diesem gänzlich hypothetischen Fall wäre die Sicherheit der Bevölkerung vermutlich
stark gefährdet.»

 

Undenkbar für das Schweizerische Nationalmuseum

Das Schweizerische Nationalmuseum könnte ohne Service public nicht existieren. Barbara Meglen, Mitglied der Geschäftsleitung: «Gemäss Bundesgesetz über die Museen und Sammlungen des Bundes (MSG) ist das Schweizerische Nationalmuseum (SNM) vom Bund beauftragt, wichtige bewegliche Kulturgüter der Schweiz zu erhalten, das Bewusstsein der Bevölkerung für die Kulturen der Schweiz zu stärken und Objektforschung zu betreiben. Ein völlig privates SNM ist daher absolut undenkbar.»

 

Wo es hapert…

Das Schweizer Gesundheitssystem, Bestandteil des Service public, gehört zu den teuersten der Welt, was nicht zuletzt auf das Kopfprämiensystem zurückzuführen ist, das in Bezug auf die Finanzierung der Grundversicherung eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist.

«Die Qualität stimmt, aber die Kosten sind sehr hoch. Vor allem, wenn man die Situation beispielsweise mit Dänemark vergleicht, wo die Kosten bei ähnlicher Qualität bedeutend tiefer sind, ohne dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege schlechter wären», meint Reto Wyss. «Die Sozialversicherung in der Schweiz, die von
rund fünfzig privaten Unternehmen betrieben wird, ist ein Ausnahmefall. Das Gleiche gilt für die Spitäler. Die öffentlichen Einrichtungen wurden fast alle ausgelagert oder privatisiert. In allen Bereichen des Gesundheitssystems lässt sich beobachten, dass dem privaten Markt Tür und Tor geöffnet wird – dieser hat ein grosses Interesse daran, möglichst viele Leistungen zu erbringen.»

 

Digitale Herausforderungen

Bereits im Jahr 2016 schreibt Hans Werder, ehemaliger Generalsekretär des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), in einem Bericht: «Wenn der Service public auch in Zukunft eine starke Stellung haben soll, muss er sich mit der Gesellschaft verändern und neue technologische Entwicklungen aufnehmen. Zentral ist hier die rasante Digitalisierung aller Prozesse bis hin zum «Internet der Dinge». Die schweizerischen Service-public-Unternehmen sind bei diesen Entwicklungen vorne mit dabei. Beispiele für neue Dienstleistungen sind das Bezahlen per Handy, moderne E-Commerce-Lösungen, der elektronische Datenaustausch im Gesundheitswesen, die intelligente Steuerung von Wärmepumpen und damit die Stabilisierung der Stromnetze oder leistungsfähige und sichere CloudLösungen für die Wirtschaft.»

Vier Jahre später schreibt Pierre-Yves Maillard, Präsident des SGB, in einem ausführlichen Dossier: «Zu Beginn der 20er-Jahre des dritten Jahrtausends, wo gigantische private, multinationale Monopole intime Daten über jeden einzelnen von uns sammeln und vermarkten, erscheinen die alten und bescheidenen, demokratisch kontrollierten öffentlichen Monopole a posteriori als wünschenswerter Horizont der Freiheit und Nüchternheit. (…)

Die Zeit des Service public ist zurückgekehrt. Er zeigt sich in Form einer neuen Idee, die es zu rehabilitieren und neu zu begründen gilt, dies unter Berücksichtigung seiner Grundprinzipien, die auch diejenigen einer menschlichen und gerechten Gesellschaft sind.»

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Service public in der Schweiz unter Beweis gestellt hat, wie wichtig er in Krisenzeiten jeglicher Art ist. Ihm stehen aber noch grosse Herausforderungen bevor. Es ist indes undenkbar, auf diesen Garanten für Demokratie und Chancengleichheit zu verzichten. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, dass die Kontrolle an private Unternehmen abgegeben wird, die ausschliesslich an Profit und nicht am Wohlergehen der Bevölkerung interessiert sind.

Gut zu wissen!

Der Service public ist der grösste Arbeitgeber der Schweiz

Laut einem Artikel der Zeitung Le Temps zählte die Schweiz Ende Juni 2020 3,98 Millionen Beschäftige (in Vollzeitäquivalenten). In den letzten zehn Jahren haben die Verwaltung, das Gesundheits- und das Bildungswesen am meisten Stellen geschaffen. Der Höchststand wurde Ende des dritten Quartals 2019 mit insgesamt 4,018 Millionen Arbeitsplätzen erreicht. «Das ist eine erfreuliche Zahl und ein Zeichen für einen dynamischen Arbeitsmarkt, im internationalen Vergleich wird dies noch deutlicher», sagt Michael Siegenthaler, Ökonom bei der KOF, der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.

 

MeteoSchweiz sorgt für eine kontinuierliche Überwachung

Die Aufgabe des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie ist es, rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr qualitativ hochwertige Prognosen zu liefern, um kritische und mitunter extreme Wetterlagen vorherzusehen. Zudem ermöglicht es dem Nuklearsektor die Entwicklung eines feinmaschigen Modells, das alle drei Stunden die Windfelder berechnet, die bei einem Unfall beispielsweise eine radioaktive Wolke mit sich führen könnten. Im Bedarfsfall kann diese Berechnung auch rund um die Uhr durchgeführt werden.

Agroscope erweckt alte Kartoffelsorten zum Leben

Die Forschungsanstalt Agroscope, Pionierin in der Pflanzenbiotechnologie, betreibt
Forschung, berät politische Instanzen, übernimmt Vollzugsaufgaben und fördert den Wissensaustausch und den Technologietransfer. Im Jahr 2019 ist es ihr gelungen, 17 alte Kartoffelsorten, die vom Markt verschwunden sind, weil sie von verschiedenen Krankheiten und Erregern befallen waren, wieder auf den Schweizer Markt zu bringen.

 

Auszahlung von 2,5 Millionen AHV-Renten und MWST-Einnahmen von 3 Milliarden

Im Dezember 2021 erhielten 2’470’700 Perso nen in der Schweiz oder im Ausland eine – Altersrente und 207’100 eine Hinterbliebenenrente. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Zahl der Bezügerinnen und Bezüger von Altersrenten um 1,3 % bzw. um 32’000 Personen zugenommen. In 4’600 Fällen (14 %) wurden diese Renten an im Ausland wohnhafte Versicherte ausbezahlt. Der Bund als zweitwichtigste Finanzierungsquelle steuerte 9,5 Milliarden bei. Über das Mehrwertsteuerprozent zugunsten der AHV wurden Einnahmen von 3,0 Milliarden Franken erzielt.

 

Daten zeigen uns, woher wir kommen und wohin wir gehen

Das Bundesamt für Statistik liefert mit verlässlichen Zahlen unverzicht bare Grundlagen, die richtungsweisend für unsere Zukunft sowie – für die Planung öffentlicher Infrastrukturen wie Schulen, Altersheime, Strassen oder Eisenbahnlinien sind.

 

Die Luftwaffe sucht nach vermissten Personen

Die Luftwaffe sucht im Durchschnitt einmal pro Woche, oft nachts, nach vermissten Personen. Ein mit einer Infrarotkamera ausgestatteter Super Puma steht rund um die Uhr für solche Einsätze bereit.

 

Ein aufsehenerregendes Forschungsergebnis am PSI

Neue Materialien könnten dank einer Entdeckung am Paul Scherrer Institut PSI die Computertechnik revolutionieren. Der Forscher Milan Radovic hat in «Communication Physics» ein aufsehenerregendes Forschungsergebnis zu transparenten Oxiden (TO) vorgestellt, das die Tür zu dieser neuen Technologie weit aufstossen könnte.
Es ist kein Zufall, dass dieses Ergebnis ausgerechnet am PSI erzielt wurde: Das Institut verfügt über ein Labor namens Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS), das beste Voraussetzungen bietet, um Stoffe mit hoher örtlicher und zeitlicher Auflösung zu durchleuchten. Solche spektroskopischen Methoden sind eine Spezialität des Schweizer Forschungszentrums. Weltweit existieren nur drei Orte, an denen alle diese Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind.
Das PSI und die EMPA sind Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich, die EPF Lausanne, das Eawag (Wasserforschungsinstitut) und die WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) angehören. Der Bund stellt dem ETH-Bereich jedes Jahr bedeutende finanzielle Mittel zur Verfügung, um Forschung und Ausbildung langfristig sicherzustellen. Im Jahr 2022 machten die Bundesbeiträge 72 % bzw. 2’888 Millionen Franken des Gesamtbudgets des ETH-Bereichs aus. Das PSI erhielt 336 Millionen und die EMPA 110 Millionen Franken.

 

2022 stammt eine der wichtigsten Erfindungen aus der EMPA

Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA hat eine biologisch abbaubare Einwegbatterie entwickelt. Das renommierte amerikanische Magazin «Time» publizierte eine Liste mit den bedeutendsten Erfindungen des Jahres 2022. Darunter befindet sich auch jene von Gustav Nyström und seinem Team vom «Cellulose & Wood Materials Laboratory» der EMPA. Die Erfindung ebnet den Weg für eine ökologische Elektronik der Zukunft.

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