Du hast dich als Präsident des SGB und als Parlamentarier stark für den Service public engagiert. Was waren deine Beweggründe? Und deine grössten Erfolge?

Was macht die Schweiz im Guten aus? Wenn man es sich überlegt, dann sind es nicht nur die Landschaft, die Berge und die direkte Demokratie. Sondern auch der funktionierende Leistungsstaat. Es ist der Service public, der die Schweiz zusammenhält. Diesen konnten wir über alles gesehen in den letzten Jahrzehnten erfolgreich verteidigen und weiterentwickeln. Das ist nicht  selbstverständlich. Vor allem nicht im europäischen und weltweiten Vergleich. Denn auch bei uns begannen in der Aera des Neoliberalismus ab Mitte der 1990erJahre heftige Angriffe auf den Sozialstaat und den Leistungsstaat. Im Visier dieser Angriffe waren insbesondere die Bundesunternehmen. Eingeleitet wurden die neoliberalen Attacken auf den Leistungsstaat mit dem Weissbuch vieler Wirtschaftsgrössen, insbesondere aus dem Finanzsektor unter dem Titel «Mut zum Aufbruch». Es waren die Kreise, die später beispielsweise den BeinaheUntergang der UBS zu verantworten hatten. Diese musste durch ein 66-Milliarden-Paket von Bund und Nationalbank gerettet werden. Über alles gesehen war die Verteidigung des Service public in der Schweiz trotz einem widrigen Umfeld erfolgreich. Die Gewerkschaften spielten eine Schlüsselrolle. Hilfreich war die direkte Demokratie. Beispielsweise beim Referendumserfolg gegen die Strommarktliberalisierung 2002. Er zeigte, dass die Bevölkerung einen starken Service public will. Auch bei der Bahn und der Post. Zentral war in den letzten Jahren die Verkehrskommission des Ständerats, ein vielleicht unterschätztes Gremium von nur 13 Köpfen, in das ich mit der Wahl in den Ständerat Einsitz nehmen konnte. Es war die Verkehrskommission des Ständerats, in der die Bahnvorlagen getaktet und die Privatisierung von Postfinance und Swisscom versenkt wurden. Nicht nur die Linke, sondern auch bürgerliche Ständeräte aus wirtschaftlich schwächeren Regionen sind zuverlässige Bündnispartner bei der Verteidigung des Service public.

 

Welches sind die grössten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit den Service public in der Schweiz? Wie siehst du die Entwicklung des Service public in den kommenden Jahren?

Zuletzt hat die Covid-Krise gezeigt, wie wichtig ein funktionierender und leistungsfähiger Staat für die Bevölkerung und die Wirtschaft ist. Dass wir auch im internationalen Vergleich so gut durch die Krise gekommen sind, ist massgebend der engagierten und kompetenten Verwaltung zu verdanken. Abgesehen von politischen Entscheiden, die, über alles gesehen, auf der Höhe der  Herausforderungen waren.

Der Service public muss sich immer wieder an die veränderten Bedürfnisse anpassen. Zwei Beispiele müssen genügen. Die Klimakrise ist eine epochale, ja planetarische Herausforderung. Eine kompetente Verwaltung spielt beim dringenden ökologischen Umbau eine zentrale Rolle. Von der Energieversorgung bis zum Verkehrssystem hängt vieles von der Kompetenz und vom Engagement der öffentlichen Verwaltung ab. Ein zweites Beispiel: Wo es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, spielt die Kinderbetreuung eine Schlüsselrolle. Richtig verstanden gehören Kindertagesstätten zum Service public. Hier hat die Schweiz noch grossen Nachholbedarf. Aber auch Chancen für die Zukunft.

 

Welche Botschaft möchtest du zum Zeitpunkt deines Rücktritts aus dem Ständerat an die Mitarbeitenden des Bundes richten?

Die Qualität des Service public hängt direkt vom Engagement und der Kompetenz der Mitarbeitenden ab, die diese Leistungen erbringen. Diese sind – wiederum über alles gesehen – beeindruckend. Ich meine auch, dass dies von einer Mehrheit der Bevölkerung ebenfalls so gesehen wird. Dabei übersehe ich nicht, dass das mediale und politische Klima oft von einer gewissen Staatsfeindlichkeit geprägt wird. Angefangen hat das 1979, als ausgerechnet die Staatspartei FDP 1979 mit dem Slogan «Mehr Freiheit – Weniger Staat» in die Wahlen zog. Im Gleichklang zu Thatcher und Reagan. Rückblickend war das für die FDP allerdings keine Erfolgsgeschichte. Die SVP hat sie mit virulenten Anti-Staats-Kampagnen weit überholt. Dabei ist kein anderer Zweig der Wirtschaft in einem ähnlichen Ausmass auf den Staat angewiesen wie die Landwirtschaft.

Somit gilt auch hier: Die Anti-Staats-Kampagnen mögen medial eine enorme Resonanz haben. In der realen Wirkung sollten sie dennoch nicht überschätzt werden. Das gilt nicht nur für die Schweiz. Es lohnt sich, die Werke des Weltökonomen Thomas Piketty zu lesen, wenn man die Bedeutung der staatlichen Sektoren in entwickelten Gesellschaften unabhängig von ihrer kapitalistischen Ausrichtung erfassen will.

 

Die Politik will oft mehr Service public, tut sich jedoch schwer, die Budgets entsprechend anzupassen. Was denkst du darüber?

Insgesamt sind die staatlichen Leistungen in der Schweiz solid finanziert. Der Verschuldungsgrad der öffentlichen Hand ist im internationalen Vergleich geradezu bescheiden, Covid-Milliarden hin oder her. In der Steuerpolitik der letzten Jahre gibt es positive und negative Entwicklungen. Negativ waren in den letzten Jahrzehnten die Steuersenkungen insbesondere für die Unternehmen. Auch diese sind auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen, benötigen Strassen und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Positiv ist, dass jetzt, auch bedingt durch internationale Entwicklungen, ein gewisser Gegentrend eingesetzt hat. Und für die Schweiz ist bemerkenswert, dass alle Steuervorlagen zur Entlastung Vermögender in den letzten Jahren in Referendumsabstimmungen gescheitert sind. Das ist ein Signal, dass eine Wende in der Steuerpolitik möglich wird.

 

Wie wird sich die Digitalisierung auf den Service public auswirken (SRG, Verwaltung)?

Die Digitalisierung auch der öffentlichen Dienstleistungen ist unausweichlich. Sie muss aber immer wieder auf die Effizienz, die Bürgerfreundlichkeit, den Datenschutz hinterfragt werden. Öffentliche Dienstleistungen müssen für alle zugänglich sein. Und überhaupt: Letztlich kommt es entscheidend auf die Menschen an, auf ihre Kompetenz, auf ihre Fähigkeiten und ihr Engagement. Digitalisierung kann nie das Ziel, sondern nur ein Mittel sein.

 

Man hört oft, dass der Service public ein Effizienzproblem hat. Entspricht dies der Realität? Was ist deine Meinung?

In meinen 36 Jahren im Bundeshaus habe ich eine grosse Zahl von fähigen und engagierten Beamten und Angestellten erlebt. Sie waren sich bewusst, welche anspruchsund verantwortungsvolle Aufgabe sie im Interesse der Bevölkerung erfüllen. An der Effizienz fehlte es nicht. Wenn ich etwas kritisch sehe, dann die Tendenz, statt Dossierverantwortlichen immer mehr Kommunikationsbeauftragte einzustellen. Eine gute öffentliche Verwaltung und ein effizienter Service public sind nicht eine Frage der Kommunikation, sondern eine Frage qualitativ hochwertiger Leistungen. Diese stehen glücklicherweise bis heute im Vordergrund.

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