Als ehemaliger Generalsekretär des Schweizer Syndikats Medienschaffender (SSM) und Gewerkschaftssekretär des SEV werden sich die Erfahrung und das Know-how von Jérôme sehr wertvoll erweisen, insbesondere in Bezug auf die Herausforderungen, denen sich der PVB in den kommenden Jahren stellen muss.
Interview
Du hast vor wenigen Tagen das Amt des Generalsekretärs beim PVB angetreten.
Wie ist dein erster Eindruck?
Ich fühle mich sehr wohl. Ich durfte auf ein aufgestelltes, kompetentes und sehr motiviertes Team treffen, welches mich sehr herzlich empfangen hat. Dafür möchte ich mich schon mal bedanken. Auch Barbara Gysi, die Präsidentin des PVB, ist sehr unterstützend und immer zur Stelle. Nun freue ich mich auf weitere Bekanntschaften mit den Mitgliedern und den Sozialpartnern. Insbesondere während dieser «kontaktarmen» Pandemie.
Der PVB steht vor grossen Herausforderungen, sei dies in Bezug auf die Personalpolitik des Bundes, die Sozialpartnerschaft oder auch seine Mitgliederzahlen. Was hat dich dazu bewogen, diese neue Aufgabe zu übernehmen?
Der PVB ist wie fast alle Berufsverbände oder Gewerkschaften mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Zwei hast du oben genannt. Ich bin schon seit langer Zeit als Gewerkschafter tätig. Ich sehe es gerne aus einer historischen Perspektive. Die ersten Gewerkschaften sind im vorvorletzten Jahrhundert entstanden. Damals noch sehr berufsständisch und als Berufsverbände mit komplett anderen Problemstellungen als heute. Gut 150 Jahre später gibt es sie immer noch. Aber sie mussten sich weiterentwickeln. Ihre Wichtigkeit und ihr Engagement werden zwar immer wieder kleingeredet, das ist aber nichts als dummes Gerede, denn im Grunde sind sie unbestritten. Sei dies in der Verteidigung der Sozialwerke oder von guten Arbeitsbedingungen oder auch als Impulsgeber von Neuerungen und Verbesserungen in der Arbeitswelt. Aber auch wir sind den gesellschaftlichen Trends ausgesetzt, wie die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Kultur, die Politik etc. In dieser «dynamischen» Welt wirken Gewerkschaften und ihr Auftrag manchmal ein wenig altbacken und nicht immer attraktiv. Dies erschwert dann halt zum Beispiel die Mitgliedergewinnung. Daher ergeben sich fortlaufend Bereiche, die wir weiterentwickeln müssen. Das ist auch gut so. Aber unseren Hauptauftrag, die Anliegen der Arbeitnehmer:innen zu vertreten, dürfen wir dabei nie dem Zeitgeist opfern. Kurzgesagt: Es ist eine Gratwanderung.
Du hast von Bereichen gesprochen, welche wir modernisieren sollten. An welche denkst du?
Zum Beispiel die Formen des Engagements. Eine Frage, die sich sehr viele «traditionelle» Vereine stellen. Zum Beispiel haben viele Gewerkschaften und so auch der PVB eine Struktur, die nicht immer den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Junge, aber auch «ältere» Menschen haben natürlich keine Lust, sich in einem Gremium zu engagieren, das sie als wenig zielführend betrachten. Auch müssen wir aktions- oder projektorientierte Formen entwickeln. Ohne dabei die Balance zu verlieren, um langjährige oder pensionierte Mitglieder nicht zu verlieren. Denn diese treuen Mitglieder sind nicht minder wichtig. Aber ich bin überzeugt, da gibt es spannende Ansätze.
Deine Karriere als Gewerkschafter lässt sich sehen: Erst warst du Gewerkschaftssekretär beim SEV, dann Generalsekretär des Schweizer Syndikats Medienschaffender (SSM). Welches waren deine prägendsten Erfahrungen?
Da gibt es sehr viele. Beim SEV durfte ich die Schweiz und mit dem öV eine Seite des Service public kennenlernen, die in der Öffentlichkeit sehr bekannt, geschätzt und anerkannt ist. Auch die Nähe zu den Sektionen und den Mitgliedern habe ich sehr gefunden. Beim SSM habe ich diese Basisnähe auch immer sehr geschätzt. Jedoch stand die SRG, auch eine Institution mit Service- public- Auftrag, stärker unter Beschuss und die Kampagne um die No-Billag-Initiative war unglaublich prägend und eine intensive Zeit. Natürlich soll man als Gewerkschaftssekretär auch keine Konflikt- und komplizierten Verhandlungssituationen scheuen. Im Gegenteil, ich stelle mich gerne solchen.
Der Service public stand noch nie so sehr im Rampenlicht wie während der Covid-Pandemie, auch beim Bund, nicht nur das Bundesamt für Gesundheit, sondern auch die Bereiche Informatik, Forschung, Wirtschaft, auswärtige Angelegenheiten usw. Welches ist deine Vision für die Zukunft des Service public?
Die Wichtigkeit des Service public war nie so gross, wie während der Pandemie, aber auch jetzt nach der Pandemie. Ich denke, wir haben in der Schweiz unglaublich gute Service- public- Leistungen. Egal in welchem Bereich. Dabei wird jedoch vielfach die öffentliche Verwaltung, aber nicht nur, stiefmütterlich behandelt, obwohl ohne diese, egal auf welcher Ebene nichts gehen würde. Wir müssen vielmehr den Service public als Ganzes erfassen und die Finanzierung dafür ganzheitlich sichern. Auch muss die Öffentlichkeit wissen, dass die Mitarbeitenden des Service public ganz «normale» Arbeitnehmer:innen sind, welche auch einen Arbeitgeber haben und mit ganz alltäglichen Problemen am Arbeitsplatz konfrontiert sind.
Wenn wir gerade von Zukunft und Service public sprechen: Die Delegiertenversammlung des PVB wird sich im November zu einer künftigen Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft VPOD äussern. Kannst du uns mehr dazu sagen?
Es handelt sich um ein interessantes Projekt und ich bin überzeugt, dass wir damit die Kräfte von zwei wichtigen Service-public-Verbänden, die in gleichen oder sehr ähnlichen Bereichen Gewerkschaftsarbeit leisten, bündeln würden. Dies stärkt nicht nur die Stellung des PVB, sondern auch jene des VPOD. Wir dürfen nicht vergessen, auch wenn wir in diesen Gesprächen der kleinere Partner sind, der PVB ist ein sehr interessanter Partner. Aber bis dahin wird es noch einiges zu diskutieren und verhandeln geben. Das Schöne dabei ist, dass unsere Delegierten anschliessend die Wahl haben und wir ihnen hoffentlich ein spannendes Zukunftsprojekt präsentieren können.
Was ist dir neben deiner beruflichen Tätigkeit wichtig?
Die Politik. Ich war während zwei Legislaturen im Generalrat (Legislative) der Stadt Freiburg und auch Präsident der SP Stadt Freiburg und immer noch politisch aktiv, einfach ohne Amt. Daneben liebe ich es zu kochen und guten Wein zu trinken. Ohne regelmässiges Singen als musischer Ausgleich geht bei mir nichts mehr. Das «Trocken»-Rudern zu Hause habe ich vor kurzem entdeckt und möchte dies künftig auch auf dem Wasser tun. Weiter trifft man mich im Winter auf Skiern an und im Sommer beim Wandern, oder so…
Hast du ein Motto?
Klingt abgedroschen, aber ich finde: «am Schluss kommt’s irgendwie (fast) immer gut».