Arbeitnehmende und KI: Subjekt und Objekt zugleich
Relevante algorithmische Technologien am Arbeitsplatz lassen sich grob in zwei Bereiche einteilen. Einerseits gibt es Systeme, die Daten der Mitarbeitenden für Analysen verwenden (beispielsweise im Personalbereich, wenn ein Betrieb ein Analysetool einsetzt, welches Kündigungen voraussagen soll, um die Mitarbeitendenbindung zu verbessern). Und daneben gibt es jene Systeme, die Daten verwenden, welche direkt in den Arbeitsprozessen anfallen (z.B. der Einsatz eines Systems im Kundendienst, welches einkommende Aufträge so verteilt, dass die Bearbeitungszeit möglichst kurz ist).
Im Personalbereich werden KIAnwendungen heute bereits in jeder Phase der Interaktion mit den Arbeitnehmenden eingesetzt: Von der Rekrutierung und Einstellung über die Schulung und Weiterbildung, die Zuweisung und Planung von Aufgaben sowie das «Leistungsmanagement» und die Produktivitätsverfolgung. Beispielsweise existieren
Kompetenzbewertungsplattformen, welche Stellenbewerber:innen anhand von Vorabtests, OnlineEvaluierungen und VideoBewerbungsgesprächen in einer Rangliste sortieren. Oder es werden Instrumente zur Produktivitätsmessung eingesetzt, welche Ineffizienzen in Arbeitsabläufen erkennen, die «Disziplin» von Mitarbeitenden messen, leistungsschwächere Mitarbeitende identifizieren und Fluktuationsraten schätzen.
Wenn Arbeitgebende solche Systeme einsetzen, um Entscheidungen von oder über Mitarbeitende zu beeinflussen, muss die unerlässliche Bedingung immer sein, dass die Rechte der Mitarbeitenden gewahrt bleiben und die Autonomie geschützt bleibt.
Die Arbeitnehmenden müssen ihre Interessen auf allen Stufen einbringen und aktiv mitwirken können, wenn ein neues System eingeführt und betrieben wird. Die Arbeitgebenden müssen den Gewerkschaften, Verbänden und Personalvertretungen
jeweils frühzeitig vor der Entwicklung bzw. Einführung von KISystemen Bericht zu deren Ziele und Implementierung und ebenso regelmässig Rechenschaft über deren Wirkung erstatten. So war das oben erwähnte Projekt der SUVA vor allem auch deshalb erfolgreich, weil die Suva vorab mit der zuständigen Gewerkschaft eine Beschäftigungsgarantie
ausgehandelt hat, was wesentlich zur Akzeptanz durch das Personal beigetragen hat.
Allgemein braucht es also einen umfassenden Rahmen mit verbindlichen Regeln für den Einsatz von KI in der Arbeitswelt. Um es für den Personalverband des Bundes auf den Punkt zu bringen, könnten folgende Prinzipien der Mitbestimmung des Personals in Bezug auf den Einsatz von KISystemen in den Vordergrund gerückt werden
- Mindeststandards: Es sollten Minimalstandards für die Gestaltung und Nutzung algorithmischer Systeme in der Bundesverwaltung festgelegt werden.
- Transparenz: Mitarbeitende bzw. ihre Vertretung müssen stets das Recht haben, Informationen über die eingesetzten Systeme zu erhalten.
- Folgeabschätzung: Die Auswirkung neu eingeführter KISysteme auf die Arbeitsbedingungen müssen vom Bund standardmässig beurteilt und ausgewiesen werden.
- Grenzen: Die Einführung intrusiver Anwendungen etwa zur systematischen Überwachung des Personals muss unterbunden werden, so wie dies letztlich auch das Gesetz vorschreibt.
Weitere Entwicklungen: Was ist zu erwarten?
Im Arbeitsmarkt werden «Big Data» und KI effektiv dazu führen, dass zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr nachgefragt werden. Welche dies sind und wo und wie schnell sie verschwinden, lässt sich schwer vorhersagen. Die Verbreitung unseriöser Hiobsbotschaften ist jedenfalls fehl am Platz. So hat etwa der IWF etwa Anfang Jahr behauptet, dass rund 30 Prozent der Berufe durch KI voll oder teilweise ersetzt werden könnten. In der Realität ist man heute weit davon entfernt. Bisher war die Entwicklung eher evolutionär als revolutionär. Die heute
eingesetzten KITechnologien zeichnen sich grösstenteils dadurch aus, dass die zugrundeliegenden Modelle in engen Anwendungsbereichen verlässlich arbeiten. Dies jedoch nicht unabhängig von den Beschäftigten, sondern als technische Hilfsmittel zu deren Unterstützung.
Auch die neuere «generative» KI (z.B. ChatGPT) wird vor allem unterstützend eingesetzt. Beschäftigte können dank solcher Instrumente zwar schneller oder genauer arbeiten. Menschliche Arbeit braucht es aber nur schon, um plausible und verlässliche Resultate zu gewährleisten. So können Chatbots zwar beim Programmieren oder im Kundensupport helfen, komplexe Programme oder eine Antwort auf ein unübliches Kundenanliegen bleiben aber auf menschliche Arbeit angewiesen.
Ob die KI wirklich viele Berufe verändert oder abschafft, ist heute unklar. Absehbar ist etwa, dass von den technologischen Veränderungen eher jene Berufe betroffen sein werden, die bereits in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben (z.B. klassische Büroberufe im mittleren Lohnbereich). Aber auch für Berufsgruppen, in denen sich bisher viele «Wissensarbeitende» – seien es Sachbearbeiter:innen oder Wirtschaftsprüfexpert:innen – auf der sicheren Seite wähnten, können sich neue Fragen stellen. Ganz allgemein sind auch Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor bedroht, wo häufig repetitive Routineaufgaben ausgeführt werden.
Die Geschichte zeigt jedoch, dass im Laufe der Zeit auch immer neue Berufe entstanden sind. Dazu kommen die aus Technologiefortschritte erwachsenen sozialen Fortschritte wie Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen. Solche wurden immer dank der höheren Produktivität – und der kollektiven Organisation – möglich. Dazu kann künftig auch die «KI» beitragen, jedoch zwingend immer im Rahmen der erwähnten Mitbestimmung der Arbeitnehmenden.
«Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen:
Revolution oder Evolution»
Reto Wyss, SGB