25.09.2022 - Dossier PVB Magazin-e 3 2022

Lohnzurückhaltung war gestern: Nun braucht es ein substanzielles Plus

Die Kaufkraft der Schweizer Bevölkerung ist auf breiter Fläche stark unter Druck. Das gilt auch für die Angestellten des Bundes. Das Gebot der Stunde sind deshalb substanzielle Lohnsteigerungen.

RETO WYSS, SGB-Zentralsekretär

Trotz mannigfaltiger weltwirtschaftlicher Probleme präsentiert sich die Schweizer Wirtschaft im Spätsommer 2022 in erstaunlich guter Verfassung. Ein Ausblick auf die kommende konjunkturelle Entwicklung zeigt aber dennoch grössere Unsicherheiten, die insbesondere auf die Entwicklung der Kaufkraft im In- und Ausland grosse Auswirkungen haben werden. Fast überall hinken zurzeit die Löhne der Inflation hinterher, das heisst die Reallöhne sinken. Für die Schweiz dürfte die Teuerung 2022 über das ganze Jahr gerechnet rund 3 Prozent betragen, im nächsten Jahr werden es geschätzte 2 Prozent sein. Nach Jahren der Preisstagnation respektive Negativteuerung sehen sich die Gewerkschaften und Personalverbände damit wieder mit einer Situation konfrontiert, wie sie zu früheren Zeiten alltäglich war: Steigen die nominalen Löhne nicht substanziell, kommt es für die arbeitende Bevölkerung zu einem realen Rückgang des Lebensstandards.

Schwer auf den Budgets der Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen lasten insbesondere die sprunghaft steigenden Krankenkassenprämien und Energiepreise. Sowohl die Prämien der Grundversicherung als auch die Stromtarife steigen über die Bevölkerung verteilt allerdings in höchst unterschiedlichem Ausmass, dementsprechend sind auch die konkreten Auswirkungen für die Arbeitnehmenden beziehungsweise Bundesangestellten unterschiedlich spürbar. Hierzu im Folgenden jeweils einige Erläuterungen.

Prämien steigen stark – aber nicht überall gleich

Die Krankenkassenprämien steigen in jenen Kantonen besonders stark an, wo die Kosten im vergangenen Jahr deutlicher über den veranschlagten Prämien lagen. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Krankenkassen (von denen es heute immerhin noch über 50 verschiedene gibt). Die höchsten Aufschläge müssen somit jene Versicherten verkraften, die sowohl in einem «ungünstigen» Kanton wohnen als auch bei einer «ungünstigen» Kasse versichert sind. Einziges probates Mittel gegen Prämiensteigerungen sind heute gut ausgebaute kantonale Prämienverbilligungssysteme, wie sie etwa der Kanton Graubünden und der Kanton Waadt kennen. Da in diesen beiden Kantonen ein Sozialziel für eine maximale Prämienbelastung festgelegt ist, werden hohe Prämienanstiege – auch etwa für Bundesangestellte im unteren Lohnsegment – über eine Erhöhung der Prämienverbilligungen effektiv abgedämpft beziehungsweise bestenfalls vollständig kompensiert. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die Prämienverbilligungen in den letzten Jahren keineswegs mit den Prämiensteigerungen festhalten konnten, wofür allerdings nicht der Bund, sondern die Kantone verantwortlich sind: So haben zwischen den Jahren 2010 und 2020 in 18 Kantonen die Mittel für Prämienverbilligungen nicht mit den Prämiensteigerungen Schritt gehalten. Neun Kantone haben ihre Mittel sogar gekürzt. Dies trotz Prämiensteigerung und trotz Bevölkerungswachstum! Unter dieser Situation leiden heute nicht in erster Linie Haushalte mit sehr tiefen, sondern vielmehr solche mit mittleren Einkommen, darunter auch Bundesangestellte.

Strom wird teurer – aber es kommt auf die Quelle an

Die Strompreise steigen wiederum in jenen Kantonen beziehungsweise Gemeinden stark, deren Energieversorgungsunternehmen ihren Strom zu grossen Teilen nicht selbst produzieren, sondern zu den massiv gestiegenen Einkaufspreisen an den internationalen Strommärkten einkaufen müssen. Haben die Energieversorger zusätzlich in den vergangenen Jahren wenig auf langfristigen Verträgen mit tiefen Preisen gesetzt, werden die Einkaufskosten noch stärker steigen und entsprechend auf die Endkund:innen abgewälzt werden. Mehr Glück haben Stromkund:innen, die im Einzugsgebiet von Energieversorgern wohnen, welche den Grossteil ihres Stromangebots in eigenen Kraftwerken (Wasser, Sonne, Wind) im Inland herstellen: Diesen Strom dürfen sie den Kund:innen in der Grundversorgung höchstens zu Gestehungskosten verrechnen, das heisst, Preissteigerungen sind weitgehend ausgeschlossen. Nun besteht der Strompreis aber nicht nur aus dem Energietarif, sondern zusätzlich aus einer Reihe staatlicher Abgaben (Netznutzungstarif, Netzzuschlag sowie kantonale und kommunale Abgaben). Auch diese Abgaben werden im nächsten Jahr deutlich steigen, was auf die vielen ausserordentlichen und teuren Massnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit zurückzuführen ist.Der Anstieg dieser Abgaben, beziehungsweise die Abwälzung der gestiegenen Kosten auf die Endkund:innen, ist völlig unnötig und wäre sehr einfach zu vermeiden gewesen (Finanzierung über öffentliche Mittel). Stattdessen wird dadurch die Kaufkraft aller Haushalte nur weiter eingeschränkt, mit den entsprechenden negativen wirtschaftlichen Folgen.

Auswirkungen für die Haushalte massiv

Trotz der erwähnten grossen schweizweiten Disparitäten bei den Kosten für Energie und Krankenversicherung bietet sich die Betrachtung der Auswirkungen für einen Schweizer Beispielshaushalt an. So steigen die Strompreise für eine vierköpfige Familie in einer 5-Zimmer-Wohnung durchschnittlich um 261 Franken (Energietarif +235 Franken, Abgaben +26 Franken). Zusätzlich steigt bei einem durchschnittlichen Prämienanstieg von angenommenen 7.5 Prozent die Prämienlast für diese Familie um etwa 1000 Franken. Ausgehend von einem mittleren Bruttolohn eines/einer Bundesangestellten – dieser betrug im letzten Jahr gemäss EPA 125’403 Franken – erfordert somit alleine der Ausgleich der gestiegenen Prämien- und Stromrechnungen des erwähnten Beispielshaushalts eine nominale Lohnerhöhung von einem Prozent. Betrachtet man weiter den zusätzlich anstehenden Anstieg der Heiz- beziehungsweise Mietnebenkosten, wird diese Beispielfamilie – wenn es schlecht kommt – zum Ausgleich gut und gerne ein weiteres Lohnprozent benötigen. Denn 60 Prozent der Wohnungen werden heute noch immer mit Öl oder Gas beheizt und der Aufschlag der Öl- sowie insbesondere der Gasrechnung kann im nächsten Jahr für eine nicht optimal isolierte Wohnung 1000 Franken deutlich übersteigen.

Dazu kommt: Nachholbedarf der Vergangenheit

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Alleine der Anstieg der Kosten für Energie und Krankenversicherung erfordert eine Lohnerhöhung von rund 2 Prozent, worin allerdings die allgemeine «Restteuerung» aller weiterer Konsumausgaben noch keineswegs berücksichtigt ist. Nur schon der Erhalt der Kaufkraft erfordert also auch für Bundesangestellte im Jahr 2023 eine kräftige Anpassung der Nominallöhne nach oben.

Die Löhne müssen aber nicht nur deshalb steigen, um mit der Teuerung schrittzuhalten (also mit Blick auf die Zukunft), sondern ebenso, um die grossen, in der Vergangenheit erzielten Produktivitätsfortschritte dem Personal endlich auch abzugelten (also mit Blick auf die Vergangenheit). Was bedeutet dies konkret im Falle des Bundespersonals: Gemäss Zahlen des BFS hat die Produktivität der Bundesverwaltung – gemessen in Wertschöpfung pro Vollzeitäquivalent – über die letzten 10 Jahre um rund 1 Prozent pro Jahr zugenommen. Im gleichen Zeitraum sind aber die Reallöhne des Bundespersonals um lediglich 5.8 Prozent gestiegen. Es bleibt somit ein Nachholbedarf von 4.2 Prozent, welcher dem Personal bis anhin vorenthalten wurde. Dieser Rückstand ist nicht zuletzt auf die Lohnzurückhaltung im Zuge der Pandemie zurückzuführen. Dabei darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass gerade auch grosse Teil des Bundespersonals «pandemiebedingt» eine doppelte Opfergabe erbrachte: Denn es stagnierten nicht nur die Löhne, sondern es explodierten auch die Überstunden. So haben im Coronajahr 2020 die Überstundensaldi in der Gesamtwirtschaft zwar leicht abgenommen, sie stiegen aber in der öffentlichen Verwaltung um mehr als 13 Prozent. In keinem anderen Wirtschaftssektor war diese Zunahme höher.

Markante Lohnsteigerungen über den Teuerungsausgleich hinaus sind aber nicht nur aufgrund des erwähnten Nachholbedarfs bei der Produktivitätszunahme angebracht, sondern sie drängen sich auch im Kontext der von Arbeitgeberseite seit Jahren und immer lauter geäusserten Sorgen über den sogenannten «Fachkräftemangel» geradezu auf. Denn die gesuchten Talente lassen sich mit einer attraktiven Lohnpolitik mit Sicherheit am besten anlocken. Ansonsten haben sie vielleicht – um es mit den Worten des obersten Personalvorsteher des Bundes zu sagen – einfach «kä Luscht».

Kaufkraft und Renten

Die gestiegene Teuerung und der drohende Krankenkassen-Prämienschock belasten auch die Rentner:innen-Haushalte

Dabei wäre eigentlich klar: die Leistungsziele der Altersvorsorge können nur erreicht werden, wenn die Renten an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. Viele Länder kennen deshalb Mechanismen, um die Renten vor Wertverlusten zu schützen. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage wird deutlich, wie wichtig sie sind. Auch in der Schweiz war man sich bei der Einführung des 3-Säulen-Modells dieser Problematik bewusst. Für die AHV ist der Teuerungsausgleich als Mindestgarantie in der Verfassung sogar explizit verankert (Art. 112 Abs. 2 Bst. d BV).

Aber auch in der 2. Säule ergibt sich die Pflicht, die Renten an die Teuerung anzupassen, direkt aus der Verfassung. Darin waren sich Bundesverwaltung und Rechtsprofessoren stets einig. Doch die Umsetzung des Teuerungsausgleichs ist nie voll erfolgt. Wenn Bundesrat und Pensionskassen nicht umgehend handeln drohen Rentner:innen schmerhafte Einbussen.

Der SGB hat berechnet, wie schnell und drastisch die Kaufkraftverluste für Rentner:innen ausfallen. Die Zahlen sind erschreckend. Wenn AHV21 angenommen wird, erhöht sich auf 2024 zudem die Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte. Weil es auf den Renten in der 2. Säule prinzipiell kein Teuerungsausgleich gibt, sind die Auswirkungen besorgniserregend. Zudem droht bei den AHV-Renten auf 2023 nur eine teilweise Anpassung an die Teuerung, weil die Löhne 2021/22 weniger stark steigen als der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK).

Unter der Annahme, dass die Teuerung inkl. MWSt-Erhöhung 3 Prozent (2022), 2 Prozent (2023) und 1.8 Prozent (2024) betragen wird und die Krankenkassenprämien per 2023 um 7.5 Prozent steigen werden, resultiert für das mittlere Rentner:innen-Paar ein Kaufkraftverlust von 450 bis 500 Franken monatlich. Das entspricht auf das Jahr hochgerechnet einer Monatsrente (AHV und BVG zusammen). Die 13. AHV-Rente ist in diesem Umfeld nötiger denn je.

Forderungen des SGB

Die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds hat den Bundesrat deshalb bereits anfangs Mai einstimmig dazu aufgefordert, eine ausserordentliche Erhöhung der AHV-Renten zu erwirken, damit der volle Teuerungsausgleich gesichert ist. Und Massnahmen zu beschliessen, um die Verbilligungen der Krankenkassenprämien rasch zu erhöhen. Beide Forderungen werden im Parlament diskutiert. Mittelfristig braucht es auch bei den Pensionskassen einen Teuerungsausgleich. Kurzfristig sind die Pensionskassen und die Arbeitgeber dazu aufgefordert, Teuerungsausgleiche für die Rentner:innen aus ihren Reserven zu finanzieren.

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