Wieso wird man Gewerkschafter?

Wie engagiert man sich beim PVB? Was sind die Herausforderungen für die Zukunft? Interview mit Jérôme Hayoz, Generalsekretär des PVB.

INTERVIEW MIT JÉRÔME HAYOZ, GENERALSEKRETÄR DES PVB

Jérôme, wieso wird man eigentlich Gewerkschafter?

Ich hab jetzt nicht mit 16 gesagt: «Ich will mal Gewerkschafter werden». Das war ein Prozess. Bei mir hat es viel damit zu tun, dass ich schon früh politisch aktiv war. Ich habe erstmal Jugendthemen bearbeitet und so die restlichen Gewerkschaftsthemen kennengelernt.

Was hat du speziell am PVB gereizt?

Beim PVB hat man alles: So viele verschiedene Berufsbilder und Branchen. Ich habe mit den verschiedensten Menschen zu tun. Die einen haben eine Lehre gemacht, die anderen kommen von der Uni. Für mich ist das unglaublich spannend.

Gibt es auch Momente, in denen du am liebsten kein Gewerkschafter wärst?

Es gibt grosse Konflikte während denen man lange und intensiv verhandelt und am Ende passt es trotz all der Mühe doch nicht allen. Den einen geht es viel zu weit, den anderen längst nicht weit genug. Dann mag man manchmal nicht mehr.

Trotzdem machst du immer weiter. Was ist der Trick?

Nie zu lange ans Aufgeben denken!

War Gewerkschaftsarbeit früher einfacher?

Ach, man denkt doch immer, dass es früher einfacher und besser war. Die Wahrheit ist: Ich weiss es nicht. Ich mache diese Arbeit ja jetzt und nicht 1970. Wir sind heute sicher mit schnelleren und grösseren Veränderungen konfrontiert, als damals. Und was nicht wegzureden ist: Die Siebziger- und Achzigerjahre waren die Zeit, in denen der Wille zum sozialen Ausgleich in der Gesellschaft am grössten war. Da wurde Sozialpartnerschaft wirklich gelebt. Das hat sich dann Ende der Achzigerjahre verändert, als die Neoliberalen Theorien in den Alltag einflossen. Seither kämpfen wir viel mehr um Anerkennung und Einfluss.

Wie kämpfst du?

Es passiert weniger in den Schreibstuben. Wir sind wieder öfter draussen. Früher, also vor dem Generalstreik, war die Schweiz Streikweltmeister. Das wissen viele gar nicht. In einem Jahr gab es bis zu 300 Streiks – fast jeden Tag einen – stellen Sie sich das mal vor! Dann kam die Friedenspflicht und die Angestellten durften nicht mehr auf die Strasse. Aber für mich steht fest: Die gewerkschaftliche Kraft, die ist draussen. Am Verhandlungstisch sind wir immer der Junior-Partner. Wir dürfen uns als Gewerkschaft nicht allzu wichtig nehmen. Auch wenn wir jetzt anders verhandeln, härter vielleicht. Als es mit der Wirtschaft steil aufwärts ging und die Löhne immer nur besser wurden, war es einfacher, am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden, die allen entspricht.

Was ist denn die grösste Herausforderung der Gegenwart?

Die rasante Veränderung der Arbeitslandschaft. Man wird immer flexibler arbeiten, keine fixen Arbeitsplätze, -zeiten und vielleicht auch -orte mehr haben. Das erfordert juristische Anpassung, das aktuelle Arbeitsrecht kann mit den neuen Arbeitsformen noch gar nicht umgehen. Dazu kommen die Sozialversicherungen, die Altersvorsorge. Für viele Mitglieder ist das sehr abstrakt, aber für uns als Gewerkschaft wird das eine grosse Herausforderung. Zudem glaube ich, dass wir die gesundheitliche Komponente dieser neuen Arbeitsformen unterschätzen.

Die Gesundheit?

Ja, die Gesundheit der Arbeitnehmenden, vor allem die psychische Gesundheit, wird immer zentraler. Denn sie können gerade mit Homeoffice immer weniger abgrenzen zwischen Arbeit und Daheim. Es werden ganz neue Phänomene auftauchen. Abgrenzung, gesundheitliche Fragen – auf uns kommen komplett neue Arbeitsformen zu. Wenn man einmal die Woche von daheim arbeitet, dann ist das keine grosse Geschichte. Aber wenn man plötzlich keinen festen Arbeitsplatz mehr hat oder mit Coworking-Plätzen arbeitet, sieht es anders aus. Da wird einiges auf uns zukommen.

Was kann die Gewerkschaft da tun?

Wir könnten zum Beispiel ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit aushandeln, das genau regelt, wann man erreichbar sein muss und wann nicht. So, dass man etwa zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr in der Früh Ruhe hat. Es gibt jetzt schon Firmen, die in dieser Zeit den Server sperren, dann kommt man gar nicht aufs Mail und entsprechend sind die Mitarbeitenden gezwungen, frei zu machen und sich zu regenerieren.

Kann diese Art «Kindersicherung» eine universale Lösung sein?

Das macht die Komplexität aus: Wir werden sehr viele individuelle Antworten auf diese neuen Fragen finden müssen. Aber das ist auch positiv, es gibt sehr viel Potential und sehr viele Instrumente, aber die Entwicklung ist fortlaufend, da muss man flexibel sein. Das hat uns vor zwei Jahren ja auch komplett überrascht – alle. Wir sind jetzt am Suchen, wie es weitergehen soll. Man soll flexibel arbeiten können, aber reflektiert.

Wie meinst du das «reflektiert»?

Man muss einerseits lernen, Grenzen zu setzen. Andererseits immer neu  hinterfragen, was die beste Lösung ist. Leute, die es am Anfang geschätzt haben, daheim zu arbeiten, möchten das beispielsweise nach zwei Jahren Pandemie nicht mehr. Manche vereinsamen daheim im Homeoffice. Es müssen jetzt sehr viel Studien und Umfragen gemacht werden. Denn mit virtuellen Apéros und Kafipausen ist es nicht gemacht.

Wo liegen die rechtlichen Schwierigkeiten bei diesen neuen Arbeitsformen?

Dass der Arbeitgeber einerseits verantwortlich für die Arbeitsumstände seiner Arbeitnehmenden ist. Andererseits darf er ja nicht schauen kommen, wie jemand wohnt. Wie also kann er sicherstellen, dass die Homeoffice-Situation genügt? Wer ist schuld, wer haftet, wenn eine Person wegen einem unergonomischen Arbeitsplatz etwa schlimme Rückenprobleme kriegt? Da gibt es rechtlich keine Grundlage.

Und wer zahlt den ergonomischen Bürostuhl, der die Rückenprobleme verhindert?

Genau, eine weitere Frage ist die Kostenübernahme für die Infrastruktur. Da gab es bisher einfach keine Rechtsprechung. Aber besser als ein wegweisendes Urteil wäre so oder so ein Homeoffice-Gesetz. Aber so, wie ich die Schweiz kenne, wird das nicht passieren. Oder es dauert zumindest sehr, sehr lange.

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