Du bist Fachmann für das Thema Resilienz. Kannst du erklären, was unter Resilienz verstanden wird und wieso dieses Thema dich so fasziniert?
Resilienz beschreibt die Fähigkeit einer Person, eines Teams oder eines Systems, sich trotz Herausforderungen, Krisen, Veränderungen oder Stresssituationen anzupassen, Rückschläge zu überwinden und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Sie umfasst psychische Widerstandskraft, Flexibilität und die Kompetenz, sich auf Veränderungen einzustellen, ohne langfristig beeinträchtigt zu werden. Sie wird durch persönliche Ressourcen (z. B. Selbstwirksamkeit, Optimismus) und soziale Faktoren (z. B. unterstützende Netzwerke) beeinflusst.
Das Thema fasziniert mich, weil Resilienz zu nahezu jedem Zeitpunkt im Leben lern- und entwickelbar ist. Es ist kein statisches Konstrukt, sondern ein Prozess und dieser lässt sich beeinflussen, ja sogar trainieren. Wir können also diese Entwicklung zu einem hohen Anteil lenken und führen. Einzige Bedingung, wir müssen es wollen und die Verantwortung annehmen. In einer Welt voller Stress und Druck wird Resilienz zum Schlüssel, um langfristig leistungsfähig, gesund zu sein und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. In meiner Arbeit als Coach und Resilienztrainer fasziniert mich immer wieder, wie rasch meine Coachees Fortschritte machen können und so die Lebensqualität massgebend verbessern können.
Wie kann die eigene Resilienz gestärkt werden und was ist eine starke Resilienz im Allgemeinen?
Resilienz lässt sich gezielt stärken, um besser mit Stress, Krisen und Rückschlägen umzugehen. Hierzu einige bewährte Strategien:
- Akzeptanz entwickeln: Situationen annehmen, die nicht veränderbar sind und sich auf Lösungen statt auf Probleme konzentrieren.
- Optimismus stärken: Den Fokus auf Chancen und Lernmöglichkeiten legen und positives Denken bewusst üben.
- Selbstwirksamkeit fördern: Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen und kleine Erfolge bewusst wahrnehmen und feiern.
- Emotionale Intelligenz ausbauen: Eigene Emotionen reflektieren und regulieren und bewusst Stress abbauen (z. B. durch Achtsamkeit und Bewegung).
- Soziale Netzwerke nutzen: Unterstützung von Familie, Freunden oder Kollegen annehmen. Ein starkes Netzwerk gibt Halt in schwierigen Zeiten.
- Anpassungsfähigkeit trainieren: Flexibel auf neue Situationen reagieren und Veränderung als Chance statt als Bedrohung sehen.
Eine starke Resilienz bedeutet, dass eine Person auch unter Druck oder in schwierigen Zeiten handlungsfähig bleibt. Resiliente Menschen erholen sich schneller von Rückschlägen, bleiben optimistisch und lösungsorientiert, können Stress besser bewältigen, lernen aus Herausforderungen und wachsen daran. Resilienz scheint sehr in Mode zu sein.
Welche negativen Entwicklungen sieht du in diesem Zusammenhang?
Resilienz ist zweifellos eine wertvolle Fähigkeit, aber ihr aktueller Hype birgt auch Risiken und problematische Entwicklungen. Ich sehe dazu folgende kritische Punkte:
- Individuelle Überverantwortung („Selbst schuld, wenn du nicht klarkommst!“): Oft wird Resilienz so dargestellt, als liege es allein an der einzelnen Person, mit Belastungen fertigzuwerden. Doch nicht jede Krise ist mit mentaler Stärke zu bewältigen – strukturelle Probleme, toxische Arbeitsbedingungen oder
gesellschaftlicher Druck können nicht einfach „wegresiliert“ werden. - Resilienz als Zwang zur Dauerleistung („Immer weitermachen!“): Die falsche Interpretation von Resilienz kann dazu führen, dass Menschen sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen oder Pausen einzulegen. Dauerhafter Druck, immer widerstandsfähig zu sein, kann genau das Gegenteil bewirken – Erschöpfung und psychische Belastung.
- Kommerzialisierung des Begriffs: Resilienz ist mittlerweile ein Marketingtrend – von Coaching-Programmen über Selbsthilfebücher bis hin zu Unternehmens-workshops. Viele Angebote sind wertvoll, aber es gibt auch eine Flut an oberflächlichen „Boost deine Resilienz“-Kursen, die die eigentlichen Herausforderungen nicht lösen.
Resilienz kann ein Karrierefaktor sein. Wie kann eine Führungskraft ihre Antennen für die Krisen und Umbruchsituationen seiner Mitarbeitenden schärfen und diese angemessen begleiten?
Resilienz ist keine Einzelleistung. Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle dabei, ihre Mitarbeitenden durch Krisen und Umbrüche zu begleiten. Führungskräfte können aus meiner Sicht und Erfahrung Krisen frühzeitig erkennen in dem sie:
- Aktiv Zuhören: Regelmässige 1:1-Gespräche helfen, Anzeichen von Überlastung oder Stress frühzeitig wahrzunehmen.
- Stimmungsbarometer im Team beobachten: Veränderungen in der Arbeitsweise, Motivation oder Kommunikation wahr und ernst nehmen.
- Offene Feedback-Kultur schaffen: Mitarbeitende sollen sich sicher fühlen, Sorgen und Herausforderungen zu äussern.
Und die Führungskräfte können Mitarbeitende resilienter machen, in dem sie:
- Sicherheit vermitteln: In Zeiten des Wandels brauchen Teams Klarheit über Erwartungen, Ziele und Perspektiven.
- Fehlerkultur fördern: Aus Rückschlägen lernen, statt Angst vor Fehlern zu haben.
- Selbstwirksamkeit stärken: Mitarbeitenden Verantwortung geben, um ihre eigene Handlungsfähigkeit zu spüren.
- Flexibilität vorleben: Veränderung als Chance und nicht als Bedrohung kommunizieren.
- Gesunde Arbeitskultur etablieren: Stressmanagement, Erholungsphasen und eine gesunde Balance zwischen Leistung und Pausen aktiv fördern und vorleben.
Führungskräfte, die Krisen erkennen und aktiv begleiten, schaffen ein Umfeld, in dem Mitarbeitende wachsen – auch in schwierigen Zeiten.
Interview von Elias Toledo, Verbandssekretär